Ein Interview mit Anna, Assistenzärztin im zweiten Jahr der Fachausbildung zur Neurologin.
Ja, natürlich haben sich nicht alle Annahmen als ganz richtig herausgestellt. Teilweise hat man Informationen auch beschönigt oder einfach nicht ernst genug genommen. Überraschungen gibt es dabei im Positiven, wir auch im Negativen. Fachlich kann das Erlernte aus dem Medizinstudium allerdings relativ passend angewendet werden.
Natürlich! Als ich angefangen habe mit meinem Medizinstudium, da war mir klar, dass ich viel arbeiten werde und auch lange Schichten dazu gehören. Darauf habe ich mich eingestellt. Oder zumindest habe ich das gedacht. Man hat auch immer wieder von ausgelernten Ärzten und Pflegekräften gehört, dass einen die viele Arbeit an seine Grenzen bringt. Ich habe aber erst verstanden was damit gemeint war, als ich es am eigenen Körper erlebt habe.
Auf der anderen Seite überwiegt im Studium natürlich die Vorstellung als Arzt den Menschen ganzheitlich zu helfen. Im Uniklinikum habe ich dann verstanden, dass Krankenhäuser allerdings trotzdem stark profitorientiert arbeiten. Der Druck ist hoch und schlussendlich wird nur nach Fallzahl bezahlt. Es scheint in Kliniken daher nicht selten der Fall zu sein, dass Patienten nach X Tagen wieder entlassen werden - egal, ob das für die Umstände des Patienten optimal ist.
In unserem kleineren Krankenhaus ist das allerdings weniger der Fall. Wenn beispielsweise eine alte Dame nach einer OP Zuhause keine familiäre Unterstützung hat, wird sie nicht einfach entlassen und ist auf sich alleine gestellt. Man kümmert sich um die soziale Situation und akzeptiert einen längeren Aufenthalt. Zwar hat man ab diesem Punkt keine Zeit mehr sich ernsthaft zu kümmern, aber bei uns dürfen Patienten zumindest bleiben und haben ein Bett.
Die genauen Arbeitszeiten sind verschieden. Ich habe mal Tag- und mal Nachtschichten. Ich kam heute morgen gerade von einer Nachtschicht zurück. Die sind für mich mittlerweile ganz normal geworden. Objektiv betrachtet ist das aber tatsächlich Wahnsinn, und für uns extrem anstrengend - körperlich und auch psychisch.
Bei einer Nachtschicht fange ich in der Regel um 16 Uhr an. Erst übernehme ich dann die Rettungsstelle. Ab 22 Uhr gehen dann die Kollegen der Schlaganfallstation und der Normalstation nach Hause. Bis morgens arbeite ich dann auf der Notaufnahme, der Normalstation und der Schlaganfallstation gleichzeitig. Dabei betreue ich die Schlaganfallstation mit 8 Betten unter anderem alleine. Das sind tatsächlich instabile Fälle. Trotzdem muss man meistens hauptsächlich auf der Notfallstation aktiv bleiben, weil die Fälle dort weiter rein kommen und nie aufhören.
Nein, das wäre schön. Nach 10-12 Stunden Arbeit am Stück lässt die Konzentration spätestens nach. Nachts um 3 Uhr wird das alles dann auch wirklich fahrlässig. Meistens komme ich nachts etwa 2 Stunden zum Schlafen. Manchmal aber auch kaum. Natürlich ist das aber kein tiefer Schlaf. Körperlich kann man irgendwann nicht mehr - aber dadurch, dass man alleine ist, muss man weiter funktionieren.
Sicherlich ist unsere Klinik kein Vorreiter der Digitalisierung. Trotzdem werden natürlich immer wieder neue Prozesse und Systeme eingeführt. Wir haben nun seit ein paar Monaten beispielsweise die digitale Patientenakte. Allerdings bereitet uns das im Moment mehr Arbeit als vorher. Wir müssen viele Fragen beantworten und Häkchen setzen, wobei wir sonst nur 2 Sätze formuliert haben. Ich kann also teilweise auch verstehen, dass Neuerungen nicht immer mit offenen Armen empfangen werden. Wenn also ein neues System eingeführt wird, sollte es Arbeit sparen. Ärzte und Pflegekräfte scheuen jeden zusätzlichen Aufwand. Die Zeit ist einfach so wahnsinnig knapp. Natürlich nutzen wir aber auch neue Technologien, die uns extrem weiter geholfen haben.
Wir können in der Klinik Diktiergeräte anfordern, die beispielsweise bei der Dokumentation für den Arztbrief unterstützen. Das Problem ist nur, dass sich niemand um die Bestellungen kümmern will. Ich habe vor Kurzem dann einfach mal ein paar der Geräte für mich und meine Kollegen bestellt. Erst wollte sie keiner - und wenn sie dann griffbereit sind, sind sie immer weg. Im Thema Digitalisierung ist also wichtig, dass alle Hürden direkt eliminiert werden.
Es sind zwei Dinge. Zum einen trägt das fehlende Engagement der Ärzte dazu bei, dass Prozesse sich nur sehr langsam verändern. Jeder fokussiert sich auf seine Hauptaufgaben, und dabei bleibt es. Die massive Überlastung macht es schwer zusätzliche Projekte loszutreten. Dazu kommt, dass die Strukturen und Prozesse so festgefahren sind, dass sich Arbeitskräfte nur sehr schwer auf Neues einlassen.
Die Dokumentation in Krankenhäusern ist grundsätzlich sehr anstrengend und nervig. Dafür muss man wissen, dass Ärzte und Pflegekräfte nicht immer auf der gleichen Station arbeiten und zwischen Arbeitsbereichen gewechselt wird. Auf jeder Station wird die Visite beispielsweise wieder unterschiedlich dokumentiert - teilweise handschriftlich und teilweise im System. Oft geht das dann schief, und die Dokumentationen werden von Kollegen nicht gefunden. In anderen Fällen muss grundsätzlich doppelt dokumentiert werden. In der Notaufnahme schreibe ich beispielsweise ein Rettungsprotokoll und im Aufnahmebrief für die Normalstation schreibe ich ungefähr das gleich wieder neu auf.
Dazu kommt auch der beschränkte Zugriff auf Dokumente, was die Sache erschwert. Auf der Normalstation beispielsweise legen wir Entlassungsbriefe im KIS an und dokumentieren dort Auffälligkeiten der Visite. Der Nachtdienst kann das problemlos einsehen. Andere Stationen allerdings nicht. Wenn also ein Patient von anderen Bereichen mitbehandelt wird, dann bleibt die Information unzugänglich bis der Arztbrief fertig ausformuliert wird. Dementsprechend sollten neue Prozesse möglichst auf mehrere Stationen gleichzeitig ausgerollt werden, um diese Verwirrung zu vermeiden.
Die Probenentnahme liegt bei uns in der Verantwortung der Ärzte nach der Nachtschicht. Morgens um 8 ist die Übergabe, und dann nimmt der Arzt oder die Ärztin noch etwa 35 Proben ab, bevor er oder sie nach Hause geht. Das ist nicht zu unterschätzen nach einer solch langen Schicht.
Der Prozess ist bei uns in der Klinik definitiv kritisch. Der Arzt, der die Proben in Auftrag gibt, klickt vorher mit an, welche Proben gebraucht werden und spezifiziert Besonderheiten. Die Pflege sollte am Abend vor der Entnahme die Etiketten für die Röhrchen ausdrucken und die Röhrchen bekleben. Das wird aber häufig vergessen. Dann muss der Arzt oder die Ärztin nach der Nachtschicht erst bekleben, bevor es zur eigentlichen Blutentnahme kommt. Manche Röhrchen müssen direkt gekühlt werden, und manche müssen lichtgeschützt ins Labor. Dabei kommt es auch häufig zu Verwirrungen. Im Zweifelsfall werden alle Röhrchen lichtgeschützt verpackt. Man bastelt also einen Sichtschutz, wodurch Namen kaum noch zu lesen sind. Unser Laborsystem bereitet dabei zusätzliche Probleme. Wenn eine Probe um 8 Uhr abgenommen werden soll, der Prozess sich aber verzögert, dann zeigt das System an, die Probe wäre zu alt. In diesem Fall müssen Kleber neu ausgedruckt und aufgeklebt werden. Dabei kann es weiter zu Fehlern kommen.
Es kommt natürlich vor, dass Blutentnahmen wiederholt werden müssen. Allgemein wurde der Prozess auch schon “geflagged”. Die Probleme hierbei nehmen überhand. Bei uns sind immer noch die Ärzte für diese Tätigkeit verantwortlich. Wir wünschen uns aber, dass dafür extra Personal eingestellt wird. Jegliche Art der Unterstützung würde ich dabei begrüßen - auch digitale Unterstützung. Ich hoffe, dass wir bald eine Möglichkeit finden, wie für uns die Probenentnahme vereinfacht und beschleunigt werden kann.
Anmerkung: Der Name der Assistenzärztin wurde zur Veröffentlichung dieses Beitrags anonymisert.
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